Digitale Edition und Kommentierung
der Tagebücher des Fürsten
CHRISTIAN II.
von Anhalt-Bernburg (1599–1656)
 
Asch: Loyalitätskonflikte
 
Herz/Zirr: Sittenhobel
 
Rohrschneider: Milagius

Loyalitätskonflikte eines reformierten Reichsfürsten

Christian II. von Anhalt-Bernburg zwischen Kaisertreue und protestantischem Bekenntnis

Ronald G. Asch

Wer die Diarien Christians II. von Anhalt unbefangen liest, ist zunächst vor allem erstaunt über Christians häufige Aufenthalte am Hof des Kaisers und seine fast beständigen Versuche, die Gunst Ferdinands II. zu erlangen. Sorgfältig verzeichnete er es, wenn der Kaiser ihn bei Hofe im Vorübergehen freundlich anschaute oder grüßte, aber Zeichen der wirklichen oder vermeintlichen Missgunst registrierte er genauso sorgfältig, wenn nicht noch sehr viel gründlicher.1 Über Jahre hinweg versuchte Anhalt überdies, eine kaiserliche Bestallung als Obrist eines Regimentes oder in verwandter militärischer Position zu erhalten, was ihm freilich nie gelang. 1629 trat er sogar an Ferdinand II. mit dem Plan heran, in Frankreich einen Feldzug zu Gunsten der Hugenotten im Auftrag des Kaisers zu führen – ähnliche Vorschläge hatte er schon 1626 gemacht.2 Auf diese Weise wären die mit dem Haus Österreich rivalisierenden Bourbonen geschwächt worden und Anhalt hätte dennoch für die Sache des Evangeliums kämpfen können, als loyaler kaiserlicher Lehensmann. Er bot auch an, zur Vorbereitung einer solchen Intervention durch Frankreich nach Spanien zu reisen, musste aber zugeben, dass er des Spanischen nicht mächtig war. Sollte es dann wirklich zu einem Feldzug kommen, dann wäre er bereit, das Oberkommando auch einem anderen zu überlassen, um nicht in den Verdacht zu geraten, er sei allzu ehrgeizig: „Auch vmb verhüetung verdachts willen, als hette ichs nur zu meiner grandezza gethan, vndt auf die bahn gebrachtt, gar gerne vndter eines andern alten wolversuchten Obersten vndt Generals, der das kriegswesen wol verstünde, vnd keine competentz mitt mir trüge, commando den Jhre Liebden alsodann, hochvernünftig verordnen würden, mich vndterzustellen.“3 Anhalt legte seinen Plan für einen Kriegszug in Frankreich, der unter anderem der Rückgewinnung der alten Reichsbesitzungen Metz, Toul und Verdun dienen sollte, einem kaiserlichen Offizier, dem Obristen Johann David Pecker in einem langen Schreiben vor, das dieser Wallenstein zur Kenntnis bringen sollte. Er schloss dieses Schreiben mit den bezeichnenden Worten: „Der herr hat mir aber nun anlaß selber gegeben, das ich mich abermals habe selbsten gleichsamb auß dem schlaff, vndt Todt, ermuntern müßen, vndt mein hertz gegen ihme außschütten. Weil mir niemandt alhier helfen will, muß ich mir selbst helfen, vndt raht suchen, wo ich kan. Der herr wolle dieses schreiben recht maneggiiren, vndt deßen innhalt noch zur zeitt, keinem Menschen, als dem herrn general vndt wem es derselbe befehlen wirdt, vertrawen. Vielleicht möchte die zeitt kommen, das man mir allenthalben darumb dancken wirdt.“4

Seine Untätigkeit war Anhalt offenbar so unerträglich, dass er bereit war, sich auch auf riskante Unternehmungen wie den hier skizzierten Frankreichfeldzug in Diensten Spaniens (auf mögliche spanische Unterstützung nahm Anhalt in seinem Schreiben unmittelbar Bezug) und des Kaisers einzulassen. Allerdings ist auch auffällig, dass er offenbar zu diesem Zeitpunkt – durchgehend gilt das nicht – ungern für den Kaiser in Deutschland und damit natürlich indirekt auch für die katholische Sache fechten wollte, sondern dafür ausländische Schlachtfelder vorzog. Doch sollte aus den Plänen nichts werden. Wallenstein hatte für solche Projekte, die Unsummen an Geld zu kosten drohten und neue Fronten schufen, die Truppen banden, die anderswo benötigt wurden, wenig übrig. Auch spätere Pläne, im Dienst der polnischen Krone gegen die Moskowiter zu kämpfen, konnten nicht realisiert werden, obwohl Anhalt schon eine provisorische Bestallung als Obrist über vier Regimenter erhalten hatte. Was die Umsetzung des Projektes, das freilich auch aus anderen Gründen scheiterte, erschwerte, war nicht zuletzt die Überlegung, dass zu diesem Zeitpunkt (1631) eine Verbindung mit den polnischen Wasa, die mit Schweden verfeindet waren, die anhaltischen Stammlande akut gefährdet hätte. Schließlich beherrschten die Schweden damals große Teile Mitteldeutschlands.5

Um die Gunst Ferdinands II. rang Anhalt freilich immer wieder. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass er in der Schlacht am Weißen Berg persönlich gegen die Truppen des Kaisers gekämpft hatte und sein Vater der Architekt eines groß angelegten Planes zur vollständigen Zerstörung der Macht des Hauses Habsburg in Mitteleuropa gewesen war. Zwar war Christian II. nach der Niederlage der böhmischen Aufständischen begnadigt worden, so wie später auch sein Vater, aber dennoch bleibt es bemerkenswert, wie wichtig ihm in späteren Jahren die Treue zum Kaiser blieb. Freilich gab es gerade im ersten Jahrzehnt des Krieges genug kaisertreue protestantische Fürsten, man denke etwa an Kursachsen. Aber Anhalt war kein Lutheraner, sondern reformiert, und sein Vater war einer der wesentlichen Architekten der kurpfälzischen Politik vor 1618 gewesen, jener Politik, die mit dazu beigetragen hatte, den Krieg überhaupt erst auszulösen. Allerdings hatte offenbar gerade das Scheitern dieser Politik bei Christian II. ein nachhaltiges Trauma hinterlassen. Im Übrigen hatte sein Onkel Fürst August, folgt man den Diarien, schon 1623 bemerkt, man solle sich als Gesamthaus Anhalt darauf festlegen, nie wieder gegen den Kaiser zu kämpfen: „Es wehre gut man machte eine sazung im hause Anhaltt, Nota Bene daß sich nimmermehr kein fürst sollte wieder den Römischen Kayser gebrauchen laßen, denn alle Historien gäbenß, daß wir nie kein glück wieder den Kayser gehabt.“6

Das Prinzip, dass man ohne Rücksicht auf die Konfession „dem Kaiser geben müsse, was des Kaisers sei,“ und der gottgegebenen Obrigkeit gegenüber gehorsam sein müsse, findet sich in Anhalts Überlegungen entsprechend immer wieder, so auch viele Jahre später nach Abschluss des Prager Friedens.7 Seine diesbezüglichen Gedanken über den Fall der Mächtigen durch Gottes Ratschluss könnten, wie er meinte, den allzu Ehrgeizigen unter den Mächtigen dieser Welt zur Mahnung dienen.8 Besonders verwies er dabei auf Fälle wie den Friedrichs V. von der Pfalz und des Friedländers. Beide hatten sich gegen ihren kaiserlichen Herren aufgelehnt, weil sie mit ihrem erreichten Status und ihren Privilegien nicht zufrieden gewesen waren. Der Protest gegen die gottgegebene Obrigkeit könne am Ende nur in die Katastrophe führen, diese Lehre scheint Anhalt aus dem Schicksal seines Vaters und aus seinem eigenen gezogen zu haben.9

Deutlich wurde die Kaisertreue Anhalts vor allem nach den ersten großen Erfolgen der schwedischen Waffen in Deutschland, als die Stände des obersächsischen Kreises unter Druck gerieten, sich den Schweden anzuschließen und ein Bündnis gegen den Kaiser einzugehen. Die regierenden Fürsten von Anhalt, mit denen Christian II. sich im September 1631 in Halle beriet, wohin sie Gustav Adolf hatte kommen lassen, befürworteten am Ende mehrheitlich eine Allianz mit dem siegreichen Schwedenkönig, aber Christian II. beharrte auf seinen Vorbehalten.10 Das Evangelium hebe die irdischen Gesetze und Verfassungen nicht auf, und man müsse dem Kaiser geben, was des Kaisers sei, schließlich sei Ferdinand II. ja nicht von den Kurfürsten abgesetzt worden. Und außerdem habe auch der böhmische Ständeaufstand, „als man dem Kayser in die Fenster zu Wien geschoßen“ (Ferdinand war in der Tat zeitweilig von den aufständischen österreichischen Ständen in der Hofburg bedrängt worden, während vor Wien böhmische Truppen aufmarschierten), nicht viel gefruchtet. All dies habe nur in den Abgrund geführt.

Christian II. wusste, wovon er sprach, denn er war, wie schon erwähnt, in der Schlacht am Weißen Berg in Gefangenschaft geraten. Allerdings setzte er sich nicht durch. Seine Verwandten, angeführt von den Fürsten Ludwig und Johann Kasimir, argumentierten, die Reichsfürsten seien doch keine „Sklaven“ des Kaisers und das Reich keine Monarchie, sondern eine Aristokratie. Der Lehenseid verpflichte einen nicht nur zur Treue gegenüber dem Kaiser, sondern gegenüber dem Reich als Rechtsgemeinschaft, und wenn der Kaiser diese Rechtsgemeinschaft zerstöre, dann höre die Gehorsamspflicht ihm gegenüber auf. Und am Ende führe man diesen Krieg ja nicht gegen den Kaiser, sondern für ihn, denn die Katholische Liga habe ihm das Heft des Handelns aus der Hand genommen und folge seinen Anweisungen nicht mehr. Letzteres war ein klassisches Argument, das wir bei Revolten in der Frühen Neuzeit oft genug finden, so auch im Englischen Bürgerkrieg, in dem die Führer des Parlamentes zumindest anfänglich dem Anspruch nach für die Rechtsperson des Königs gegen seine natürliche Person, die zum Gefangenen böser Ratgeber geworden sei, kämpften.11

Schließlich führte der Bernburger Regierungspräsident Heinrich von Börstel noch an, man dürfe die wahre Religion zwar nicht mit dem Schwert ausbreiten – den Gedanken eines „Heiligen Krieges“ für den wahren Glauben lehnte er also wie die meisten Protestanten ab –, dürfe sie aber, wo sie einmal etabliert sei, durchaus mit Waffengewalt verteidigen.12 Börstel war anders als Anhalt generell geneigt, spätestens seit 1629/30 den Konflikt als Religionskrieg zu betrachten, in dem es für aufrechte Protestanten keine Neutralität geben könne.13 Aber diese Argumente überzeugten Anhalt im Herbst 1631 nicht. Dennoch, am Ende musste er sich dem Druck beugen und die Allianz mit Schweden, wenn auch sehr widerwillig, unterschreiben. Anhalt berief sich ausdrücklich auf diesen Zwang, in der Hoffnung, dass ihn Gott für diese Tat, die er eigentlich mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, nicht bestrafen würde.14 Gewiss wird er auch befürchtet haben, dass er, da Ferdinand II. ihn 1622 begnadigt hatte – gegen das Versprechen, nie wieder gegen ihn zu kämpfen –, im Falle des Scheiterns härter bestraft werden würde als andere, die ein solches Versprechen nicht gegeben hatten. Seine Kaisertreue scheint dennoch aufrichtig genug gewesen zu sein.

So kritisch er in manchen Punkten den Prager Frieden von 1635 auch sah, muss er froh gewesen sein, dass er sich nun wieder als loyaler Untertan des Kaisers betrachten konnte.15 Anhalt legte Wert darauf, auch bei wichtigen zeremoniellen Anlässen am kaiserlichen Hof präsent zu sein. Er ließ sich nach dem Tode seines Vaters persönlich vom Kaiser belehnen – eine Form der symbolischen Loyalitätsbekundung, die im 17. Jahrhundert schon recht ungewöhnlich geworden war16, und nahm Ende 1636/Anfang 1637 auch an den Feierlichkeiten zur Wahl und Krönung Ferdinands III. zum römischen König und an der Krönung seiner Gattin in Regensburg teil. Da die mächtigen weltlichen Reichsfürsten – für die geistlichen galt das freilich noch nicht in gleicher Weise, auch wenn sie wichtige Erzämter innehatten –, ihre Funktionen beim Krönungszeremoniell und ähnlichen Anlässen kaum noch persönlich wahrnahmen, war die Anwesenheit Anhalts dem Kaiser offenbar durchaus willkommen, auch wenn er natürlich nicht zu den Mächtigen im Reich gehörte. Aber er stammte aus einer alten Fürstenfamilie, die im Mittelalter noch zu den führenden Dynastien des obersächsischen Raumes gehört hatte.

Auffällig ist dabei, wie vertraut Anhalt auch mit führenden Geistlichen am Hof Ferdinands II. umging. So führte er 1629 ein langes Gespräch mit Kardinal Melchior Khlesl, der freilich nicht mehr lange zu leben hatte und politisch zu diesem Zeitpunkt schon lange marginalisiert worden war. Aber immerhin war Khlesl bis 1619 der wichtigste Minister und Berater von Kaiser Matthias gewesen und damit eigentlich auch ein entscheidender Gegenspieler Christians I. von Anhalt. Man sollte meinen, dass auch zehn Jahre nach der Absetzung Ferdinands II. als König von Böhmen und der Königswahl des Pfälzer Kurfürsten die Beziehungen zwischen einem reformierten Reichsfürsten und Khlesl eher von Spannungen belastet sein würden. Vor allem hatte dieser Reichsfürst mit seiner Familie selbst zu den militanten Reformierten gehört, die die Machtstellung des Hauses Habsburg im Reich hatten zerschlagen wollen. Aber nichts dergleichen war der Fall, das Gespräch fand in überaus freundlicher Atmosphäre statt und Khlesl beschwerte sich nur darüber, dass Anhalt ihn bei seinem Besuch in Rom 1623 nicht aufgesucht hatte. Für die Zukunft legte er ihm nahe, falls er noch einmal nach Rom komme, auch mit dem Papst Kontakt aufzunehmen, denn dieser „Wehre  ein frischer Munterer herr, ein sehr guter Græcus, vndt eloquentissimus jn ljngua Latina. Er der Cardinal hette dem Pabst offtermalß viel guts von Meinem herrenvatter gesagt, vndt der Pabst hette gewüntschett, das er ihn kennen, vndt mitt ihm tractiren möchte.“17

Über die Calvinisten hatte Khlesl fast nur Positives zu sagen, vor allem seien sie theologisch seiner Ansicht nach gebildeter und argumentationsstärker als die Lutheraner.18 Offenbar versuchte Khlesl, Anhalt hier zu schmeicheln; er mag vielleicht auch ein wenig gehofft haben, ihn irgendwann zu einer Konversion bewegen zu können, eine Hoffnung, die andere Gesprächspartner am Hof geteilt haben mögen. Aber bemerkenswert bleibt dennoch, dass mitten auf dem Höhepunkt des Krieges, als das Restitutionsedikt die schiere Existenz des Protestantismus im Reich bedrohte, solche Gespräche überhaupt möglich waren. Das ist ein Indiz dafür, dass im Dreißigjährigen Krieg der Gesprächsfaden zwischen den verfeindeten Konfessionsparteien nie wirklich abriss. Zum Teil waren die Konflikte auch situativ. Es gab Situationen, im Streit etwa um säkularisiertes Kirchengut, in denen die gegnerischen Rechtsauffassungen, die ihrerseits in konfessionellen Weltanschauungen verwurzelt waren, unmittelbar aufeinanderstießen und Kompromisse nahezu unmöglich machten. Es gab aber auch andere Situationen, die es den Beteiligten gestatteten, ihre religiösen Differenzen gewissermaßen auszuklammern, wie es Khlesl ja schon vor dem Ausbruch des Krieges mit seiner Kompositionspolitik gegenüber den Protestanten versucht hatte.19 Hier griffen Verhaltenskonventionen, auf die sich beide Seiten einigen konnten, etwa die der höfischen Gesellschaft oder der res publica litteraria. Das unterschied den Dreißigjährigen Krieg auch von den Französischen Religionskriegen, die zu einer Vergiftung aller politischen und sozialen Beziehungen geführt hatten, auch wegen des abgrundtiefen Misstrauens und offenen Hasses, mit dem sich die verfeindeten Seiten begegneten.

In Deutschland, das machen auch die Diarien Anhalts deutlich, gab es hingegen auch auf dem Höhepunkt des Konflikts immer noch Themen, die eine Annäherung der beiden Seiten zumindest denkbar erscheinen ließen. So versuchte Khlesl, Christian II. 1629 bezeichnenderweise für die Kreuzzugspläne zu gewinnen, die mitten im Dreißigjährigen Krieg im Umfeld des kaiserlichen Hofes vor allem vom Grafen Michael Adolf von Althann entwickelt wurden. Althann war der Vertreter der 1618 vom Herzog Karl von Nevers – der später als französischer Klient das Herzogtum Mantua übernahm – gegründeten Militia Christiana, die sich die Eroberung von Konstantinopel zum Ziel gesetzt hatte. Sicher, das waren recht phantastische Pläne und deren Erfolgschancen sehr gering. Wenn man aber über die konfessionellen Fronten eine Einheit aller Christen beschwören wollte, dann bot sich dafür der Kreuzzugsgedanke namentlich natürlich im Heiligen Römischen Reich durchaus an. Nach Anhalts Aufzeichnungen sagte Khlesl zu ihm: „Wieder den Türcken, dörfte es keinen Catohlischen, sondern Christen, das wehren keine politische reden.“20

Sehr realistisch war das alles, wie sich bald zeigen sollte, nicht. Auch war die Haltung Althanns zu den Protestanten zutiefst ambivalent. Als Bundesgenossen gegen die Osmanen hatten sie ihren Wert. Zugleich sollte aber der von ihm geleitete mitteleuropäisch-östliche Zweig der Militia Christiana bei Bedarf auch im Konfessionskrieg gegen die Protestanten eingesetzt werden und diente de facto seit 1618 als Klammer zwischen den militanten Katholiken in der Habsburgermonarchie und den polnischen Wasa und generell dem polnischen katholischen Adel. Polen stellte nicht zuletzt ein Gegengewicht zu dem protestantischen Fürsten von Siebenbürgen dar und konnte diesen zur Not in Schach halten.21 Dennoch schienen 1629 durchaus gewisse Chancen für ein – eventuell dann überkonfessionelles – Unternehmen gegen die Osmanen zu bestehen. Der Krieg im Reich ging damals, vor der Intervention Schwedens, wie man glauben konnte, seinem Ende entgegen und die Truppen Wallensteins an einer anderen Front, also etwa auf dem Balkan einzusetzen, war kein vollständig fernliegender Gedanke. Auf der anderen Seite bestand offiziell seit 1606 zwischen dem Osmanischen Reich und dem Kaiser ein Friedensvertrag oder zumindest ein immer wieder verlängerter Waffenstillstand, beruhend auf den Vereinbarungen von Zsitvatorok. Diesen Vertrag zu brechen, wäre riskant gewesen, und Althann, mit dem Anhalt wenige Tage, bevor er Khlesl besuchte, ausführlich gesprochen hatte, setzte daher offenbar auch eher auf ein Unternehmen von Freischärlern, die auf eigene Faust und ohne offizielle kaiserliche Unterstützung Krieg führen sollten. Der Graf war jedenfalls von seinen Plänen überzeugt, so seltsam sie auch erscheinen mochten, und hoffte offenbar auch, dass ein Teil der muslimischen Bevölkerung – oft ja in der Tat Abkömmlinge von ursprünglich christlichen Volksgruppen – sich  zum Christentum bekehren würde: „Jch würde es sehen, das der feldtzug, würde vor sich gehen. Die divisiones vndter den Türcken selber wehren groß. Jhrer viel, begehrten Christen zu werden, das wehre ein großer forthel, wann man ihnen gelegenheitt machen köndte, sich taüffen zu laßen.“22

Es muss nicht betont werden, dass aus diesen Plänen nichts wurde. Bemerkenswert bleibt aber dennoch, dass Anhalt aus der Sicht Althanns zu jenen protestantischen Hochadligen gehörte, die prinzipiell für einen neuen Kreuzzug gegen die Osmanen gewonnen werden konnten und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beziehungen zwischen Katholiken und Protestanten im Reich eigentlich einen Tiefpunkt erreicht hatten. Kann man daraus folgern, dass Konfession und religiöse Überzeugungen in dem Krieg, der 1618 ausbrach, ohnehin nur ein Vorwand waren, dass es von Anfang an nur um die reine politische Macht ging? Das wäre sicher ein Fehler. Wie wichtig Anhalt die Sache des Evangeliums und sein eigenes reformiertes Bekenntnis waren, wird daran deutlich, dass eine mögliche Konversion für ihn im wahrsten Sinne des Wortes ein Albtraum war. Anhalts Diarien geben auch zahlreiche Träume des Fürsten recht detailliert wieder und einer dieser Träume, der ihn 1637 heimsuchte, hatte einen möglichen Übertritt zum Katholizismus zum Thema. Unter dem Datum des 24. Februar 1637 notierte Anhalt: „Seltzame somnia de peccato in Spiritum Sanctum so ich begangen, in dem ich mich auch noch durch die päbstischen vndt Jesuiten zur Meße wieder meinen willen zu gehen, vndt mitt gar schwehrem gewißen, durch Sophistische vnwiedertreibliche argumenten (dem schein nach) bereden laßen, darüber der Kayser sich so hoch erfreẅet hette, daß er gesagt, Nun wollte er gern vndt frölich sterben, daß er dieses glück an mir erlebet hette. Jch war aber darnach froh, daß er nur ein Trawm gewesen, vndt daß ich auß solcher erschrecklichen gewißensangst, in etwas erlediget wardt.“23

Das war in der Tat ein bemerkenswerter Albtraum. Ergänzend könnte man auf einen anderen Traum Anhalts aus demselben Jahr verweisen, in dem er sich als Retter des Evangeliums sah: „ Somnium diesen Morgen gehabt: […] vndt alle leütte auf den gaßen, altt vndt iung, hetten vnß im vorüber ziehen, mitt Threnen gesegenet, vndt sich höchlich vber meiner ankunft erfreẅet, bevorab darüber, daß Sie noch durch mich, bey Nota Bene der reinen warheitt des Evangelij sollten erhalten, Nota Bene vndt geschützt werden.“24

Gleichgültig gegenüber konfessionellen Fragen war Anhalt also in keiner Weise, aber das schloss die Bereitschaft zum Gespräch mit Vertretern der Gegenseite eben nicht aus, wie etwa mit dem Pater Wilhelm Lamormaini, dem kaiserlichen Beichtvater. Mit ihm hatte Anhalt im August 1635 eine lange Diskussion über Glaubensfragen. Der Jesuit betonte, dass die Differenz zwischen den Lutheranern und den Katholiken in der Abendmahlslehre doch gar nicht so groß sei und man wohl auch mit den Calvinisten einig werden könne. Allerdings trenne die Konfessionsparteien die Ekklesiologie und auch die Prinzipien der Bibelexegese seien andere, denn für Katholiken könne nur die Amtskirche mit dem päpstlichen Lehramt im Lichte der Tradition die vielen Mysterien in der Bibel richtig interpretieren, nicht der einfache Gläubige. Das sah Anhalt ganz anders, aber eigentlicher Streitpunkt im Gespräch war doch eine andere Frage.25 Anhalt hielt Lamormaini vor, es sei doch die Maxime der Jesuiten oder gar der Katholiken allgemein, „haereticis fides non servanda est“ und dass sie gegebenenfalls auch bereit seien, Gift und das Messer des Attentäters gegen konfessionelle Gegner einzusetzen. Daraufhin reagierte der Beichtvater empört: „Il le desavoua, & dit, qu'on en calomnie les Jesuites, & que Jacques Clement estoit un perfide[,] un Regicida[,] un homicida[,] un meschant & pervers, quj tua le Roy Henrj III de France. […] Que la societè humaine, devoit estre reiglèe par bonnes loix & Polices, qu'il ne convenoit pas de transgredier. […] Quod essent bellj sicut et pacis jura, quæ inviolata servanda.“26

Lamormaini distanzierte sich also nicht nur vehement vom Königsmörder Jacques Clement, sondern betonte auch, es gebe eben klare Gesetze des Friedens und des Krieges, die man in jedem Fall beachten müsse. Im weiteren Gespräch musste der Beichtvater freilich einräumen, dass ein Eid, den man unter Druck geleistet habe und welcher den christlichen Prinzipien fundamental widerspreche oder die Grundlagen der Kirche in Frage stelle, natürlich nicht verbindlich sei, was Christian von Anhalt nicht unbedingt beruhigte.27 Am Ende zeigte sich hier das Grundproblem aller Friedensbemühungen vor 1618, aber auch während des Krieges: das gegenseitige Misstrauen.28 Wie konnte man einem Gegner vertrauen, von dem man annehmen musste, dass er einen für verdammt hielt, den man aber auch selber als Ketzer oder als Anhänger der Idolatrie betrachtete?

Es bleibt als Resümee die Erkenntnis, dass Anhalts Haltung und sein Handeln widersprüchlich blieben. Einerseits war er sich durchaus bewusst, wie stark Maßnahmen wie das Restitutionsedikt den Protestantismus im Allgemeinen und ganz besonders die Position der Reformierten im Reich bedrohten. Andererseits sah er im Kaiser die gottgegebene Obrigkeit, der man sich nicht widersetzen dürfe. Ein gewisses persönliches Kalkül spielte dabei natürlich auch eine Rolle. Eine militärische Karriere schien am ehesten noch in Diensten des Kaisers möglich zu sein, zumal Anhalt weder für die Schweden, deren König er als allzu herrisch und arrogant ansah, noch für Kursachsen sonderliche Sympathien hegte. Hinzu kam der Faktor, dass man am Kaiserhof wusste, wie man mit Reichsfürsten wie Anhalt umgehen musste, um ihnen das Gefühl zu geben, sie würden geschätzt. Niemand war dankbarer für Zeichen der Anerkennung als Anhalt, der offenbar Zeit seines Lebens unter dem Gefühl litt, eigentlich ein Versager zu sein. Es war aber vielleicht doch bezeichnend, dass Anhalts Träume von einer militärischen Karriere am Ende nicht in Erfüllung gingen. Am Hof des Kaisers mochte man ihm gelegentlich schmeicheln, aber man zögerte offenbar doch dem ältesten Sohn und Erben des Mannes, der 1618/19 den Krieg ausgelöst hatte – zumindest aus kaiserlicher Sicht – ein höheres Kommando zu übertragen, obwohl sein jüngerer Bruder Ernst tatsächlich als kaiserlicher Obrist zwischen 1628 und 1631 in Italien focht. Anhalts faktischer Mangel an fundierter militärischer Erfahrung mag auch ein Hindernis gewesen sein.

Anhalt blieb letzten Endes ein Grenzgänger zwischen den verfeindeten Lagern – das macht seine Diarien für uns als Quelle so wertvoll, weil er Zugang zu unterschiedlichen Entscheidungszentren hatte und als aktiv nicht beteiligter bloßer Beobachter manches klarer sah als die Handelnden selbst. Aber eben dieses Grenzgängertum war kein Erfolgsrezept in den Wirren des Krieges, da man am Ende von keiner der kriegführenden Parteien wirklich Schutz, Förderung und Unterstützung erfuhr, sondern bestenfalls Schonung. Und so hatte es Anhalt vermutlich auch sich selbst zu verdanken, dass er ein Verlierer blieb und sein Traum von einem Generalat genau dies blieb, ein bloßer Traum, den er freilich noch 1636 in seinem Tagebuch festhielt, als er von einer nächtlichen Vision berichtete, in der ihm träumend die Jungfrau Maria (sic) erschienen war, und er seine geheimen Wünsche äußerte: „Als die reye an mich gekommen, vndt ich meine Meynung bey Meiner herzlieb(st)en gemahlin bette also stehende, sagen sollen, hette ich zwar gesagt, Jch wüntzschte mir ejn regiment zu roß, eines zu fuß vndt ein generalat darneben.“ Im Traum gab es dann freilich für Anhalt dann doch noch ein höheres Ziel als militärischen Ruhm, die ewige Seligkeit, oder, wie er es ausdrückte, „die höchste vergnüglichkeitt.“29 Diesem Ziel konnte Anhalt immerhin ganz unabhängig von den wechselnden Konstellationen des Krieges und von der Gunst des Kaisers oder anderer Potentaten nachstreben.



1 Siehe etwa den Tagebucheintrag für den 5. Juni 1635, fol. 293r: „Comme j'estois hier a Baden, a l'Antichambre tout proche de la porte de Sa Majestè, l'Empereur revenant de la procession, je fis la everence a l'Archiduc Leopoldt, qui precedoit l'Empereur[.] Jl me fit douce mine. Mais comme je la fis profonde a Sa Majestè laquelle passoit tout près de moy, elle ne me donna aulcun gracieux visage, comme autresfois, nj toucha a son chappeau.“ – Vgl. zur ganzen Thematik auch Arndt Schreiber: „Nicht nach dem Winde schnappen“: Handlungsmöglichkeiten und Selbstbehauptung des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg im Dreißigjährigen Krieg nach seinen Tagebüchern, in: Andreas Erb / Andreas Pečar (Hg.), Der Dreißigjährige Krieg und die mitteldeutschen Reichsfürsten. Politische Handlungsstrategien und Überlebensmuster, Halle (Saale) 2020, S. 109–132. [↑]

2 Vgl. Schreiber: Handlungsmöglichkeiten, S. 114 und 130. [↑]

3 Tagebucheintrag für den 9. Januar 1629, fol. 206v–207r: Kopie eines Briefes, den Anhalt an den kaiserlichen Obristen Johann David Pecker geschickt hatte, der seine Vorschläge Wallenstein unterbreiten sollte. [↑]

4 Ebd., fol. 208v–209r. [↑]

5 Vgl. Schreiber: Handlungsmöglichkeiten, S. 130. [↑]

6 Tagebucheintrag für den 11. April 1623, fol. 87r. [↑]

7 Tagebucheintrag für den 1. Juni 1635, fol. 289v, der ein Gespräch mit dem Hofkriegsratspräsidenten Graf Heinrich Schlick wiedergibt: „Ob ich schon der reformirten Religion zugethan, so hielte ich nichts von denen, die nicht glauben hielten, vndt dem Kayser nicht geben, waß des Kaysers wehre, noch der Obrigkeitt, die gewaltt vber Sie hette vndterthenig sein wollten, das lehrete auch das wortt Gottes.“ Vgl. auch die Bemerkung über Walleinstein und die Hinrichtung seiner Anhänger im Tagebucheintrag für den 27. Juni 1635, fol. 320r: „Voyla, ce que c'est, de s'opposer au Magistrat, & aux puissances superieures. Faut bien observer la reigle de Saint Paul; Romains 18 13. caput.“ [↑]

8 Tagebucheintrag für den 13. Juni 1635, fol. 304r–306r. [↑]

9 Ebd., fol. 306r, über Wallenstein: „devroyent avoir au moins horreur de l'exemple tout seul arrivè l'annèe passèe, du Duc de Fridlande, lequel ne se contentant pas, de tant d'inesperèe fortune, qu'il avoit obtenuë par la grace de Dieu, & de son bon maistre Sa Majestè Jmperiale nostre Sire, avec tant de benignitè“. [↑]

10 Tagebucheintrag für den 15. September 1631, fol. 91v–92r: „vndt alß man dem Kayser in die fenster zu Wien geschoßen, auch wie die Vnion, vndt confœderation der Erbländer sich dem Kaiser mächtigpotenter wiedersezt vndt dennoch nichts außrichten können. Verhüte den Verlust des Landes und der Köpfe, einen schändlichen TodGarde la perte du pays, & des testes, une mort honteuse.“ [↑]

11 Ebd., fol. 92v: „Que les Princes libres de l'Empire n'estoyent pas esclaves, & ne devoyent se laisser gourmander contre la capitulation de l'Empereur l'Empire n'estant pas Monarchique ains Aristocratique & electif, Que l'Empereur avoit enfraint les constitutions de l'Empire, en plusieurs façons, Que sur tout il falloit donner a Dieu le sien, & a la religion la vie & les biens.“ [↑]

12 Ebd., fol. 94v: „Religion nicht einzuführen mitt dem Schwert, aber wo sie introducirt ist, zu defendiren Einen guten sicheren frieden unter dem Schildsub clypeo zu machen. Zu dieser alliantz wirdt man gezwungen.“ [↑]

13 Vgl. Schreiber: Handlungsmöglichkeiten, S. 120, mit Bezug auf Äußerungen Börstels vom November 1632. Siehe generell zu den Diskussionen über ein Bündnis mit Schweden ebd., S. 116–119. [↑]

14 Tagebucheintrag für den 15. September 1631, fol. 94r–v.: „Je le fis donc avec une main tremblante, wobei ich dagegen protestierteen protestant a l'encontre.“ [↑]

15 Zur Haltung der Fürsten von Anhalt und speziell Christians zum Prager Frieden siehe  Alexander Zirr: Eine enttäuschte Hoffnung. Der Prager Frieden in den Tagebüchern des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg, in: Katrin Keller / Martin Scheutz (Hg.), Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg, Wien 2020, S. 311–330. [↑]

16 Anhalt wollte 1635 als Reichsfürst seine Lehen persönlich empfangen, aber das galt schon als seltsam; vgl. Tagebucheintrag für den 29. Juni 1635, fol. 321v–322r: „Man macht sich lustig vber mich, wenn ich selber sollte wollen die lehn entpfangen, vndt nichts beßers verrichten, als was ein agent köndte, wie Löben vndt seines gleichen.“ [↑]

17 Tagebucheintrag für den 9. Dezember 1629, fol. 281r–v. [↑]

18 Ebd., fol. 285r: „Die lutrischen wehren gar grobe leütte, hetten keine solche fundamenta vndt rationes wie die reformirten, die er zimlich lobete, vndt vber zwey mal nicht Calvinisten, sondern wol 12 mal reformirte hieß.“ [↑]

19 Ebd., fol. 284v–285r: „Er hielte es vor kein gut Politisch stücklein, wann man bey Evangelischen leütten von der Religion disputirte. Er hette sichs allezeitt endthalten, wann man ihm nicht sonderbahre vrsach gegeben.“ – Zu Khlesl siehe u. a. Rona Johnston: Melchior Khlesl und der konfessionelle Hintergrund der kaiserlichen Politik im Reich nach 1610, in: Friedrich Beiderbeck / Gregor Horstkemper / Winfried Schulze (Hg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 199–222. [↑]

20 Tagebucheintrag für den 9. Dezember 1629, fol. 283r. [↑]

21 Für die Hinweise auf diese Zusammenhänge bin ich Herrn Magnus Ressel (Frankfurt/ Main) dankbar. Siehe auch Magnus Ressel: A Crusade against or with the Heretics? The Dilemma of the Christian Militia (1618-1625), in: Magnus Ressel / Kerstin Weiand (Hrsg.), Crusading Ideas and Fear of the Turks in Late Medieval and Early Modern Europe, Toulouse 2021, im Druck. [↑]

22 Tagebucheintrag für den 8. Dezember 1629, fol. 278r. [↑]

23 Tagebucheintrag für den 24. Februar 1637, fol. 367r. [↑]

24 Tagebucheintrag für den 8. August 1637, fol. 464v. [↑]

25 Tagebucheintrag für den 3. August 1635, fol. 378v–380v. [↑]

26 Ebd., fol 379r–v. [↑]

27 Tagebucheintrag für den  4. August 1635, fol. 380v: „Ich hatte ihm aber nicht dieses, sondern ein anders proponirt, das Sie statuiren: Juramentum, contra Ecclesiastjcam utilitatem præstitum, non tenet, darauf gedachte er, es wehre die utilitas animae darmitt gemeinet.“ [↑]

28 Dazu auch Hannes Ziegler: Trauen und Glauben. Vertrauen in der politischen Kultur des Alten Reiches im Konfessionellen Zeitalter, Affalterbach 2017. [↑]

29 Tagebucheintrag für den 28. Februar 1636, fol. 70v. [↑]

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