Digitale Edition und Kommentierung
der Tagebücher des Fürsten
CHRISTIAN II.
von Anhalt-Bernburg (1599–1656)
 
Asch: Loyalitätskonflikte
 
Herz/Zirr: Sittenhobel
 
Rohrschneider: Milagius

Literatur als Sittenhobel

Fürst Christian II. von Anhalt-Bernburg schenkt seinem Kammerjunker Nostitz eine Absage an die Eytelkeit der Welt

Andreas Herz/ Alexander Zirr

Kürzlich ist der Herzog August Bibliothek eine schöne und bedeutsame Erwerbung aus dem irischen Antiquariatshandel gelungen: ein ganz besonderes Exemplar der seltenen anonym erschienenen deutschen Übersetzung Anmütige vnterhaltung Vnd Zeitvertreib Edeler Gemühter/ Vber Der Eytelkeit der Welt (Kassel 1635) nach dem französischen Original von Jean Puget de La Serre (1594–1665): L’entretien des bons esprits svr les vanitez dv monde (erstmals 1629).1

Das Besondere an dem neu erworbenen Exemplar der Anmütigen vnterhaltung sind die handschriftlichen Einträge auf Titel- und Vorsatzblatt. Unter dem Titel finden wir in der unverkennbaren Handschrift Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg (1599–1656) einen Hinweis auf den Übersetzer: „Ce livre a estè traduict en Allemand; | par Monsieur Le Landgrave Guillaume de Hessen.“ (Dieses Buch ist ins Deutsche übersetzt worden durch den Herrn Landgrafen Wilhelm von Hessen). Rechts vom Titel der Widmungsvermerk, ebenfalls von Christians Hand: „Ce livre | apartient | Charles | Henry de | Nostitz“ (Dieses Buch kommt Karl Heinrich von Nostitz zu).

Titelblatt

Auf der Recto-Seite des Vorsatzblattes der eigenhändige Schenkungsvermerk von Nostitz: „Anno 1637 den 17 Januarius | Haben Jhr Fürstliche Gnaden Fürst Christian | von Anhalt, Graff zu Ascanien, | Herr zu Berenburg vndt Zerbst | Mein Gnädiger Fürst vndt | Herr auß sonderbahren Gnaden, | mier diß buch verehret | Jn Eger:“ Darunter: „Carl Heinrich von Nostitz auf | Desauw [Kleindehsa, westlich von Löbau/ Oberlausitz] Vndt Malschwitz [nordöstlich von Bautzen/ Oberlausitz]. | Simbolum [Wahlspruch]: | En Dieu mon esperance, | & mon espée pour ma defence.“ (Zu Gott meine Hoffnung, und mein Degen zu meiner Verteidigung.)2

Vorblatt

Im handschriftlichen zweiten Band des sogenannten Köthener Gesellschaftsbuches der Fruchtbringenden Gesellschaft, das die Reimgesetze und tw. die Wappen und eigenhändigen Einträge der Mitglieder Nr. 201 bis 400 enthält, findet sich auch ein Eintrag zum Kammerjunker Nostitz als 360. Mitglied der Gesellschaft von 1641. Dabei begegnet dieselbe Hand wie auf dem Vorsatzblatt der Anmütigen vnterhaltung, Nostitz wählte hier aber einen deutschen Zweizeiler als Sinnspruch: „Gutter Freundt ein seltzam gast, Den Melonen gleich zu schetzen, // Fuftzig Körner mustu setzen, Ehe Du einen gutten hast.“ Darunter die farbige Zeichnung seines Wappens und die Unterschrift „Carl Heinrich von Nostitz Manu Propria (mit eigener Hand).“3

Puget hatte seit 1627/28 am Hof der französischen Königinmutter Maria de Medici geweilt und war ihr 1631 ins Exil nach Brüssel gefolgt, war jedoch 1639 nach Frankreich zurückgekehrt, wo er wohlwollende Aufnahme durch König Ludwig XIII. und Richelieu fand und Bibliothekar des jüngeren Bruders von Ludwig, Gaston d’Orléans, wurde, bevor er zum königlichen Historiographen und Staatsrat aufstieg. Über 100 veröffentlichte Werke – eine veritable Palette Erbauungsbücher, Briefsteller à la mode, Schriften zur Rhetorik und Sekretariatskunst, ein Florilegium aus Seneca, Verhaltensbreviere für Frauen, Geistliche, Hofleute, wie den illustrierten Breviere des Courtisans (zuerst 1630), aber auch Ballets, einen Alexanderroman und ein mythisch-allegorisches Geschichtswerk über König Ludwig XIII. und seine Frau Anna von Österreich u. v. m. – bezeugen seine produktive Schriftstellerei. Später zwar von der klassizistischen Generation der Boileau als buntscheckiger Vielschreiber verachtet und verlacht, war Puget in der literarischen Welt der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein anerkannter Platz sicher. Kein geringerer als Martin Opitz übersetzte seine Douces pensées de la mort als Die Süssen Todes-gedanken (Breslau 1632).4

Dass Landgraf Wilhelm V. von Hessen Kassel (1602–1637) den L’entretien ins Deutsche übersetzt hatte, war – wie obige Widmung Fürst Christians belegt – zumindest einigen Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft (1617–1680) bekannt, der beide angehörten: Fürst Christian seit 1622, Landgraf Wilhelm seit 1623. Öffentlich hatte dann der Herausgeber der postumen 2. Ausgabe, Theophil Neuberger (1593–1656), den Namen des Übersetzers im Titel und in seiner Vorrede preisgegeben.5 Neuberger hatte auch die Leichenpredigt auf Landgraf Wilhelm V. verfasst, dort aber nur allgemein erwähnt, der Landgraf habe, wann immer er Zeit erübrigen konnte, „die heilige Schrifft/ vnnd andere/ gute/ theils teutsche/ vnnd sonderlich Frantzösische Bücher/ gelesen/ auch etliche auß der Frantzösischen Sprach ins Teutsch versetzt/ deren theils in Druck außgangen/ vnd noch vorhanden.“6 Neben eigenen Übersetzungen aus der italienischen und französischen Bibel, die er mit der Lutherischen Bibelübersetzung verglich, hatte Wilhelm auch Jacques du Boscs ersten Teil der L’honnête femme (1632) übertragen: Die Tugendsame Fraw (Kassel 1636). Von dieser Übersetzung ist nur ein einziges Exemplar nachgewiesen.7

Wilhelms kurzes Leben war von den Strapazen des 30jährigen Krieges gezeichnet. Ausgeschlossen aus dem Prager Frieden (1635) sah er sich zur Verteidigung seiner Rechte und Interessen zur Fortsetzung des Krieges und zum Bündnis mit Frankreich und Schweden gegen Kaiser und Reich gezwungen. Unter den deutschen Reformierten (dem Calvinismus anhängend oder zugeneigt) galt er als tapferer, standhafter Verteidiger der wahren Glaubenslehre. Diederich von dem Werder, ebenfalls reformiert und bis 1622 Kasseler Hofmarschall, dann in die Nähe Köthens zurückgekehrt, aktiver Fruchtbringer und zeitweise schwedischer Obrist, reagierte auf die Nachricht von Wilhelms Tod Anfang Januar 1638 in geradezu hugenottischem Widerstandsgeist: Wilhelm habe, so versicherte Werder dessen Witwe, „einen vnsterblichen ruhm nicht alleine für der welt, Sondern was mehr ist ein vnvergängliches lobwürdiges gedächtnüs bey der Kirchen Gottes, am allermeisten aber die vnverwelckliche Krone der ehren, als ein Standthafter Soldatt vndt Ritter seines Capitains jesu Christi im himmel erlanget.“8

Seine Lektüre der Anmütigen vnterhaltung vermerkte der reformierte Fürst Christian, auch er ein reges Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft,9 in seinem Tagebuch-Eintrag vom 5. 10. 1636 während eines Besuchs in Weimar: „Gelesen, in Landtgraf Wilhelms buch von der eytelkeitt“.10 Wenige Wochen später schenkte er das Buch nach Ausweis des erwähnten Widmungseintrags seinem Bediensteten, Karl Heinrich von Nostitz (1613–1684). Der entstammte dem evangelisch gebliebenen Teil des Rothenburger Stammes dieses ursprünglich Lausitzer Adelsgeschlechts und gehörte dem reformierten Bekenntnis an.11 Im Eintrag zum 1. Januar 1632 erscheint er zum ersten Mal im Tagebuch Fürst Christians, als er unter diesem Datum die Annahme des Adeligen „auß Schlesien“ als neuen Pagen vermerkte, der zuvor bei seinem Vetter, Johann von Axt (†1634), seit 1630 Christians Stallmeister, gedient habe.12 Im Jahr 1632 begleitete der junge Nostitz Fürst Christian auf dessen Reise nach Warschau, 1633 auf dessen Reise nach Holland, bevor im März 1634 gemeinsam eine Reise nach Frankreich über Hamburg, Amsterdam, Den Haag und Calais angetreten wurde. In Paris spendierte ihm der wieder abreisende Christian einen längeren Aufenthalt, um sich in den „adeligen exercitiis“ zu üben.13 Den verbrachte Nostitz gemeinsam mit einem jungen Adeligen von Erlach, Sohn des Bernburger Hofmarschalls Burkhard von Erlach (1566–1640). Nach vier Monaten erhielt Nostitz von Fürst Christian aus Italien den Auftrag, nach Orange zu kommen, wo er sich beim Gouverneur, Burggraf und Herr Christoph zu Dohna (1583–1637), Christians ehemaligem Hofmeister und Reisebegleiter sowie Fruchtbringer der ersten Stunde, seinem treuen „Achates“, einstellte, und sich, um ein Einkommen zu erzielen, als Musketier verdingte. Als nach einigen Monaten ein Wechsel von Fürst Christian eintraf, konnte er seine höfische Adelserziehung fortsetzen und wurde zum Kammerjunker der Ehefrau des Gouverneurs, Ursula, einer geborenen Gräfin von Solms-Braunfels (1594–1657), berufen. Nach insgesamt 18 Monaten im Fürstentum Orange brach er Anfang April 1636 über Lyon, Paris, Calais, Holland, Hamburg in die Heimat auf, wo er in Naumburg unversehens, schon auf der Weiterreise nach Bernburg begriffen, mit Fürst Christian zusammentraf und sich ihm als dessen Kammerjunker anschloss. Der notierte dazu am 30. 6. 1636 in Naumburg in sein Tagebuch:

„Carll henrich von Nostitz, welcher pagen weyse von mir verlegt [unterhalten] worden in Franckreich, vndt daß gewehr zu Orange in der garnison getragen, auch reytten, fechten, Tantzen vndt die Frantzösische sprache gelernett, auch in die zwey iahr also von mir verlegt worden, der hatt sich heütte Morgen bey mir præsentirt“.14

Es war damals die Zeit, da Christian ruhelos im Reich umhermigrierte, nachdem seine Bernburger Residenz am 11. März 1636 von kursächsischen Truppen gestürmt, verwüstet und ausgeplündert, seine Familie infolgedessen in Mecklenburg und Schleswig-Holstein in Sicherheit gebracht worden war. So begleitete Nostitz als Kammerjunker Fürst Christian nach Nürnberg, Regensburg (25. 7. – 4. 8. 1636), Eger (6.–28. 8.), zurück über Leipzig, Altenburg und Dessau kurz nach Bernburg (9.–20. 9.), dann über Leipzig, Weimar, Ilmenau, Würzburg nach Regensburg und München (3.–4. 12.), wieder nach Regensburg, wo am 12. 12. 1636 die Wahl Erzherzog Ferdinands, des späteren Kaisers Ferdinand III., zum römischen König und am 20. 12. die Krönungsfeierlichkeiten stattfanden. Am 2. Januar 1637, so berichtet Nostitz‘ Tagebuch15 weiter, zogen sein Herr und er fort nach Eger (Ankunft am 16. 1. 1637), wo man sich drei Wochen aufhielt. Tags darauf schenkte der Fürst seinem offenbar als zuverlässig geschätzten Reisebegleiter die literarische Abkehr von der Eytelkeit der Welt.16 Damit markierte Fürst Christian die soziale Hierarchie von Herr und Knecht, die Unsymmetrie des Herrschafts- und Dienstbarkeitsverhältnisses, und unterlief sie zugleich. Ohne vorausgesetzte Leistungsbedingungen bestand die pflichtgemäße Reziprozität dieser Geschenkgabe in gefestigter Dankbarkeit, Bindung und Loyalität des Beschenkten. In Nostitz‘ Eintragung wird die im Buchgeschenk ausgedrückte symbolische höfische Patronagebeziehung als Gnadenzeichen und Gunstbezeugung deutlich, wie sich umgekehrt der Dienst des Beschenkten nicht allein in Salär und Einkommen entgelten ließ: eine ‚moralische Ökonomie‘ gegenseitiger Pflicht zwischen dem Fürsten und seinem Bediensteten. Dabei war es durchaus üblich, ein Buchgeschenk im „Zusammenhang mit den persönlichen Eigenschaften des Empfängers“ zu wählen und so ein richtiges „Sozialverhalten“ zu stimulieren.17 Darauf werden wir sogleich zurückkommen.

Von Eger ging es heimwärts über Salzburg und Wien, schließlich Prag, Dresden, Weimar und Heldrungen, wo die Reisegruppe bis aufs Hemd von einer kaiserlichen Streifrotte ausgeplündert wurde. Am 3. Juni brach man von Bernburg nach Plön auf, um Christians Gemahlin und Kinder abzuholen, im August traf man endlich wieder in Bernburg ein. Im April 1638 verabschiedete sich Nostitz zu einem einjährigen Urlaub in seine Oberlausitzer Heimat. Am 13. Juni 1639 machte er sich auf den Rückweg, um in Bernburg sogleich zum Stallmeister ernannt zu werden. Zugleich hatte er das „Commando über die Bürgerschaft sowohl, als über etzliche geworbene Knechte [Soldaten]“ inne.18 In dieser Funktion sehen wir ihn anhand der Informationen aus Christians Tagebuch immer wieder in Verschickungen und heiklen Missionen, vor allem, wenn es galt, die unablässigen Räubereien von Buschkleppern und marodierenden Streifrotten abzustellen, gestohlenes Vieh wieder zurückzuholen, ausgespannte Pferde der Bauern den Räubern wieder abzujagen. Nostitz scheint sich bei diesen Aufträgen sehr bewährt zu haben und keiner Gefahr ausgewichen zu sein19, eine verlässliche Stütze auch in den Kriegsdrangsalen des Jahres 1641. Dass er gern auch Rauferei und allerlei Händel suchte, musste sein Biograph Gottlieb Adolf von Nostitz und Jänkendorf einräumen.20

Gegen Ende des Jahres 1641 begab sich Nostitz wieder und dauerhaft nachhause in die Oberlausitz. Seine Entreprise in Anhalt endete im August, und sein künftiges Handeln und Wirken braucht uns an dieser Stelle nicht weiter zu interessieren. Doch kurz vor seiner Abreise muss er deutlich über die Stränge geschlagen haben. Kurz vor seiner Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft am 14. 8. 1641 im Rahmen eines fürstlichen Besuchs in Köthen21 war er nämlich in Bernburg wegen nicht näher ausgeführter Vergehen einige Tage in Arrest genommen worden.22 War er vielleicht dem zweiten Teil seiner Devise – mein Degen zu meiner Verteidigung – allzu handgreiflich nachgekommen? Seine fruchtbringerische Gesellschaftsimprese fungiert jedenfalls deutlich als Mahnung und Sittenrüge, mit seinem Gesellschaftsnamen „Der Glatte“, seinem Sinnbild „Ein Ahorner Tisch“ und dem Beiwort „Zu recht gehobelt.“ Die auslegende Strophe vergleicht die Hobelung einer Ahornplatte zu einem glatten Tisch mit dem erzieherischen Eingriff: „[…] Die Jugend hurtig frisch | Erst wird zu recht gebracht, wan etwas sie gelitten: | Es soll doch kein gemüth sein nimmermehr so risch [=rasch, scharf, heftig] | Zurühren das was schon zuvor man hat erstritten. | Bescheidenheit die geht durch alle länder glat, | Und leßet Zanck und streit nicht finden raum und statt.“23

Das war deutlich genug! — Und im Oktober 1636 in Weimar? Hatte sich Christian über die Demolierung seines Bernburger Schlosses von Puget/ Landgraf Wilhelm trösten lassen? Immerhin ist ein ganzes Kapitel der Anmütigen vnterhaltung der „Eytelkeit grosser Schlösser/ Palläst- vnnd Lusthäuser“ gewidmet.24 Auch Jesus habe nichts gehabt, so heißt es dort, „da er sein haupt hinlegte“. Und da alles Menschenwerk sub specie aeternitatis „auf sand“ gebaut und von „vngewißheit“ geschlagen sei, schließlich ein Opfer der hinfälligen Zeit werde, so sei die Verachtung all der „stattlichen Palläste“ und „schönen Lusthäuser“ und allein die Sorge um die ewige Heimstatt die einzig wahre christliche Haltung. Dieser schroffe Zwei-Reiche-Dualismus, der sich mit den Verhältnissen und Situationen der politischen und gesellschaftlichen Realitäten, mit dem Pendelverkehr der handelnden historischen Subjekte zwischen richtig und falsch, gut und böse nicht viel zu schaffen machte, sollte Christian in der Tat nicht davon abhalten, bei Kursachsen, Kaiser und Reich den unerhörten Affront und Anschlag auf seine Residenz anzuklagen und Schadensersatz zu fordern. Das zeigt nur, dass die höfische Kultur zahlreiche Register bespielen konnte, frommer Weltverneinungs-Gestus gehörte zur literarischen Stilisierung und Selbstformung dazu und markierte einen Widerspruch zum weltlichen Agieren mit all seinen Verstellungen, Egoismen und Machtmechanismen nur zwischen den relativ autonomen Ordnungen. Eine Verwechslung derselben oder wahrhafte Ineinsbildung war weder angestrebt noch üblich. Für Nostitz, im Januar 1637, hielt die Eytelkeit der Welt als Teil der Weisheitsliteratur, die seit dem 16. Jahrhundert zunehmend zur fürstlichen und adeligen Erziehung gehört hatte, indessen doch manchen schönen Lehrsatz bereit, zielte sie doch darauf ab, dass man „in kurtzer zeit erfahren und verständig werden möge“, etwa indem man seinen eigenen „dünckel“ bezähme, nicht zu viel „von sich selbst“ halte, „anderer Leute würdigkeit“ anerkenne, und „sich höher nicht“ als an seinen „gehörenden ort/ erheben“ wolle.25

Danach bleibt die „Biographie“ des Buches nahezu im Dunkeln. Nur ein weiterer Vorbesitz blitzt noch durch einen zusätzlichen handschriftlichen Eintrag auf. Inmitten des Titels finden wir die Angabe: „Ex Bibliotheca | J. H. Hadermanni“. Johann Heinrich Hadermann (1710–1785) war nach seinem Studium in Marburg und Leiden seit 1740 Rektor des Gymnasiums seiner Geburtsstadt Schlüchtern.26 Fata sua habent libelli – Bücher haben ihre Schicksale. Mit dem Erwerb des Buches durch die Herzog August Bibliothek gelangte dieses besondere Exemplar in eine Büchersammlung, in deren Erschließung und Erforschung sich die Epoche des 30jährigen Krieges, die Fruchtbringende Gesellschaft und das Leben und Werk Fürst Christians II. aufs Engste kreuzen. Mit dem Geschick eines Buchs aus einstigem Besitz Fürst Christians ließ sich nicht nur ein Licht auf dessen persönliches, politisch-konfessionelles und soziokulturelles Beziehungsgeflecht werfen, in das Nostitz für eine Weile eingewoben war, sondern auch auf Christians eigenen Lebenslauf, in dem ein verlässlicher, aber zuweilen heißblütiger Kammerjunker und das Exemplar der Anmütigen vnterhaltung ihre temporäre Rolle spielten.



1 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (im Folgenden: HAB): Xb 10952. 8 Bl., 531, (1) S., 4°. Ein weiteres Exemplar ist schon von Herzog August d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1579–1666) selbst erworben worden: HAB: 202.52 Quod. (2) (Digitalisat). Zu dieser Ausg. s. Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD17): VD17 23:250698E. [↑]

2 Die Verso-Seite des Vorsatzblatts trägt spätere Bleistift-Eintragungen, die stark verblasst kaum noch zu lesen sind. Keine weiteren Benutzungsspuren wie An- oder Unterstreichungen, Marginalnoten etc. im Buch. — Die Herkunft dieser Devise ist uns unbekannt. Sie scheint aber in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts verbreitet gewesen (vgl. Martin Bircher: Im Garten der Palme. Katalog einer Sammlung von Dokumenten zur Wirksamkeit der Fruchtbringenden Gesellschaft, Wolfenbüttel 1998, S. 341) und im 18. Jahrhundert ebenso als Stammbucheintrag beliebt zu sein (vgl. Robert Keil/Richard Keil: Die Deutschen Stammbücher des sechzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts, Berlin 1893, S. 220) wie als Gravur auf Offiziersdegen (vgl. Bulletin de la Société d'études des Hautes-Alpes 10 [1891], S. 94). Kein Nachweis in Max Löbe: Wahlsprüche, Devisen und Sinnsprüche deutscher Fürstengeschlechter des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1883. [↑]

3 Historisches Museum Köthen/ Anhalt: V S 677a, Bl. [163]v (Digitalisat). [↑]

4  Vgl. hierzu und für das Folgende: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. 4. Bd.: 1637–1638. Unter Mitarb. von Gabriele Ball und Andreas Herz hrsg. von Klaus Conermann. Leipzig 2006, S. 135–147. [↑]   

5 Anmuthige/ vnd sehr nutzliche Betrachtung DEr Eytelkeit der WELT, Kassel 1641. HAB: 145.10 Pol. (2). VD17 3:301853S. Das Titelblatt gibt den Übersetzer preis: „Durch Weyland den dapfern/ | recht Teutschen vnd Standhafftigen | Fürsten vnd Herrn/ | Herrn Wilhelmen den Fünff- | ten/ Landgraven zu Hessen/ […] hochlöblichen seeligen | andenckens“; ebenso die Vorrede des Herausgebers Neuberger. (Digitalisat der ULB Darmstadt). [↑]

6 Theophil Neuberger: Christliche Ehrengedechtnis Des Weiland Durchleuchtigen/ Hochgebornen Fürsten vnd Herrn Herrn Wilhelmen des Fünfften/ genant Standhafftigen/ Landgraven zu Hessen [...] als J. F. G. Wie auch dero gleichfals in Gott ruhenden Jungen Herrn/ Herr Philipsen/ vnd Fürstl. Frewlins/ Frewlins LOYSÆ ... verblichene Leichnam […] zu dero auffs new dazu erbawten Fürstlichen Ruhestette gebracht/ vnd darinn niedergesetzt worden. Bey sehr Volckreicher versamblung in der Stifftskirche zu Cassel am 23. April. An. 1640. gehalten. Kassel: Jacob Gentsch 1640, S. 44 f. HAB: J 301 4° Helmst. (12) und Leichenpredigten-Sammlung Stolberg, Nr. 12874 (Digitalisat der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz). [↑]

7 Die Tugendsame Fraw/ Das ist: Außführlicher Wegweiser/ wie sich eine Tugendsame Fraw verhalten solle. Kassel: Blasius Grossens Witwe 1636. British Library London: 527.g.7 (Ein verpfuschtes Digitalisat). Kein Nachweis im VD17. [↑]

8 Universitäts-, Landes- und Murhardsche Bibliothek Kassel: 2° Ms. Hist. Litt. 4, 2 Bl., unfol. (Diederich von dem Werder an Landgräfin Amalia Elisabeth von Hessen-Kassel, Reinsdorf 6. 1. 1638). Vgl. Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. Bd. 4, S. 135–147. [↑]

9 Vgl. auch den Einführungstext „Fürst Christian II. und die FG“. [↑]

10 Digitale Edition und Kommentierung der Tagebücher des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg (1599–1656). Unter der Leitung von Ronald G. Asch und Peter Burschel herausgegeben und bearbeitet von Arndt Schreiber, Alexander Zirr, Andreas Herz und Antoine Odier, unter weiterer Mitarbeit von Maximilian Görmar, Anna-Maria Blank, Anna Lisa Sonnenberg und Maximilian Blatt, technisch umgesetzt von Marcus Baumgarten und Maximilian Görmar (im Folgenden: Edition der Tagebücher Fürst Christians II.), Eintrag vom 5. 10. 1636 (Digitalisat der Vorlage). [↑]

11 Vgl. Robert Luft: Artikel „Nostitz, von“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 350-354 (Online-Ausgabe). [↑]

12 Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, Z 18 A 9b Nr. 14 (im Folgenden: Fürst Christian II.: Tagebuch), Bd. X, Bl. 197v (Eintrag vom 1. 1. 1632) (Digitalisat der Vorlage). [↑]

13 Nostitz soll im Familienarchiv ein 500 Seiten starkes Tagebuch hinterlassen haben, dessen Verbleib ungeklärt ist. Gottlieb Adolf von Nostitz und Jänkendorf wertete das Tagebuch aus in: Beiträge zur Geschichte des Geschlechtes von Nostitz. Gesammelt und herausgegeben von G. A. v. N. u. J. 1. Heft, Leipzig 1874, S. 127–153, hier S. 130. [↑]

14 Edition der Tagebücher Fürst Christians II., Eintrag vom 30. 6. 1636 (Digitalisat der Vorlage). [↑]

15 Gottlieb Adolf von Nostitz und Jänkendorf (wie Anm. 13), S. 137. Übereinstimmende Information zum Aufbruch unter diesem Datum auch in Edition der Tagebücher Fürst Christians II., Eintrag vom 2. 1. 1637 (Digitalisat der Vorlage). [↑]

16 In dem postum erstellten handschriftlichen Katalog der nachgelassenen Bibliothek Fürst Christians II. findet sich tatsächlich weder ein Exemplar von Pugets Original noch von Landgraf Wilhelms V. deutscher Übersetzung. Vgl. CATALOGUS Secundus Bibliothecae Berenburgensis. Anhaltische Landesbücherei Dessau: BB 9562. [↑]

17 Nadezda Shevchenko: Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation. Göttingen 2007, S. 174 und 175. Vgl. insgesamt den instruktiven Abschnitt „Buchgeschenke“ (S. 145–176), in dem es allerdings ausschließlich um Buchgeschenke von „unten“ nach „oben“, von Gelehrten an fürstliche Obrigkeiten oder innerhalb derselben geht. [↑]

18 Gottlieb Adolf von Nostitz und Jänkendorf (wie Anm. 13), S. 139. [↑]

19 Vgl. ebd., S. 145 und 148. [↑]

20 Vgl. ebd., S. 145. [↑]

21 Vgl. Fürst Christian II.: Tagebuch, Bd. XVI, Bl. 129r (Eintrag vom 15. 8. 1641) (Digitalisat der Vorlage). [↑]

22 Ebd., Bl. 118r (29. 7. 1641) (Digitalisat der Vorlage): „CHVN: Ingratis servire nefas“ [Carl Heinrich von Nostitz: Es ist unrecht, dem Undankbaren zu willfahren] und etwas weiter: „J’ay fait mettre en arrest: CHVN etc.“ [Ich habe in Arrest gesteckt CHVN etc.] u. 119r (1. 8. 1641) (Digitalisat der Vorlage): „[…] Nostitz außm arrest relaxirt worden.“ [↑]

23 Gesellschaftsbuch Köthen, 2. Bd. (wie Anm. 3), Bl. 164r. [↑]

24 Anmütige vnterhaltung (wie Anm. 1), S. 111–134. Die nachstehenden Zitate S. 132, 125 und 132. [↑]

25 Ebd., Zitate in der Reihenfolge Bl. a ij r, a iij v und S. 104. [↑]

26 Vgl. https://www.schluechtern.de/unsere-stadt/persoenlichkeiten/ [letzter Zugriff: 15.03.2021]. [↑]

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